Herzog Ernst von Braunschweig unterbreitet Kardinal Albrecht von Brandenburg Maßnahmen zur Niederwerfung des Täuferreichs von Münster

Signatur:
LASA, A 1, Nr. 303
Seitenangabe:
31r-v
Datierung:
3. Juni 1535
Orte:
Celle
Münster (Westf)
Worms
Wichtige Personen:
Albrecht <Mainz, Erzbischof, Kurfürst, Kardinal, II.> (* 1490 † 1545)
Ernst <Braunschweig-Lüneburg-Celle, Herzog> (* 1497-06-26 † 1546-01-11)
Bearbeiter:
Rothe, Vicky
Überlieferungsform:
Ausfertigung
Historische Einordnung:
Im April 1535 beschloss eine Versammlung der Reichsstände mit Mehrheitswillen in Worms, dass die unerträglichen Zustände in der Stadt Münster, die nun schon seit 16 Monaten anhielten, die Reichsgemeinschaft dazu zwangen, die Stadt zurückzuerobern und die in ihr regierenden Täufer vehement zu bekämpfen.
Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die seit den 1520er Jahren rasch anwachsende Täuferbewegung, die sich als radikale Strömung der Reformation erwies. Ihre Anhänger predigten die Neuordnung der Welt durch einen grundlegenden Wandel von Glauben, Kirche und Gesellschaft nach biblischen Vorbildern. Das besondere Kennzeichen der Täufer war die Ablehnung der Kindertaufe und die deshalb (erneut) vollzogene Taufe der Erwachsenen, was auf dem Verständnis beruhte, dass nur ein mündiger Mensch den Glauben aus freiem Willen annehmen könne. Hingegen lehrten sowohl die katholischen wie die evangelischen Kirchen die Taufe der neugeborenen Kinder als unauflösbare Verbindung mit Gott, die ein lebenlang galt und deshalb auch nicht wiederholt werden konnte. In Reaktion auf die Täufer war 1529 auch ein Reichsgesetz erlassen worden, dass die Kindertaufe verbindlich festlegte. Die Täufer lehnten damit sowohl das alte Kirchenwesen als auch die reformatorische Kirche ab und wiesen obrigkeitsfeindliche Züge auf. Die Obrigkeit identifizierte sie deshalb als Gefahrenquelle und nahm eine unnachsichtige Verfolgung ihrer Anhänger auf, die sich seit 1528 in zahlreichen Mandaten widerspiegelte.
Unabhängig von diesen Maßnahmen versuchten die Täuferanhänger ihre alternative Lebensweise zu etablieren. In der Stadt Münster gelang es ihnen, ein eigenes Täuferreich zu errichten, das sie als das „neue Jerusalem“ propagierten. Dabei war die Reformationsbewegung in Münster zunächst nur sehr langsam in Gang gekommen, erst seit 1525 gab es Bestrebungen seitens der Bürgerschaft, die Reformation zu etablieren. Doch deren Einführung erfolgte gegen den Willen des Klerus und insbesondere gegen den Stadtherrn, Bischof Friedrich von Wied (um 1518-1568), später Bischof Franz von Waldeck (um 1491-1553), sodass ein Konflikt zwischen städtischer Obrigkeit und Bewohnerschaft von vornherein vorprogrammiert war. Bei der nun anstehenden Frage der Umgestaltung des städtischen Kirchenwesens hielten besonders beim wortführenden Prediger Bernd Rothmann (1495-nach 1535) radikale täuferische Vorstellungen Einzug, die überwiegend aus den nahe gelegenen Niederlanden vermittelt wurden. Diese Entwicklung führte aber nur zu einem internen Kräftemessen zwischen Rat, Befürwortern der Radikalisierung und katholischen Bürgern, sodass in den Jahren 1533 und 1534 verstärkt Unruhen auftraten, die noch durch den Zuzug der niederländischen Täufer Jan van Leiden (1509-1536) und Jan Matthijs (um 1500-1534) genährt wurden. Mit den Ratswahlen im Februar 1534 gelang es schließlich, überwiegend Täufer als Ratsmitglieder einzusetzen. Nun besaßen die Befürworter der täuferischen Lehre das institutionelle Instrument, um eine neue Herrschaftsordnung auch tatsächlich umzusetzen. Schnell wurde die Glaubenstaufe eingeführt, eine neue Stadtordnung, die biblisch motiviert war, erlassen und alte Herrschaftssymbole wurden zerstört. Die Stadt Münster brach damit sichtbar mit der alten Ordnung und wurde zu einer realen Alternative zur gängigen Herrschaftsform.
Die Geschehnisse in Münster wurden keineswegs unbeachtet hingenommen. Seit März 1534 versuchten der Bischof Franz von Waldeck und die Landschaft des Stifts, die Stadt mit Hilfe von Handelsblockaden und einer Belagerung zur Unterwerfung zu zwingen. Doch zeichnete sich in kürzester Zeit ab, dass sie allein nicht dazu in der Lage waren. Je länger sich die Belagerung hinzog, desto mehr wurden die Bemühungen um Unterstützungsleistungen (Geld, Material, Söldner) gegenüber umliegenden Territorien, später sogar gegenüber dem gesamten Reich, intensiviert. Die zu erwartenden Hilfeleistungen schienen nicht unbegründet, war doch die Grundhaltung gegenüber den Täufern im Reich eine Ähnliche: Einige Territorien waren bereits vor den Ereignissen in Münster mit täuferischen Aktivitäten konfrontiert worden und teilten die Besorgnis eines drohenden Aufstandes, befürchteten sie doch eine ähnlich Auseinandersetzung, wie sie sie im Bauernkrieg erlebt hatten. Es bestand außerdem eine Einigkeit darüber, dass die Täufer als eine „unchristliche Sekte“, ihre Lebensweise als schändlich und ihr Handeln gegen die Obrigkeit als rebellisch anzusehen seien, ja sogar eine Gefahr für den Landfrieden darstellte.
Allerdings dauerte es eine beträchtliche Zeit, bis die Hilfen für die Eroberung Münsters tatsächlich bewilligt wurden und der Geldmangel im Feldlager blieb bis zum Schluss virulent. Hier kamen die unterschiedlichen Mechanismen der Reichspolitik zum Tragen. Zunächst mussten die Positionen und Maßnahmen klar verhandelt und Informationen ausgetauscht werden, dafür mussten wiederum zahlreiche Treffen und Beratungen anberaumt und die dafür nötigen Korrespondenzen geführt werden. Zu dieser Situation trug aber auch die politische und religiös-konfessionelle Konstellation im Reich selbst bei. Es herrschte zunächst Uneinigkeit über die Konfliktlösung. Sollte eine militärische oder eine friedlich, diplomatische Lösung bevorzugt werden? Einige Reichstände hatten anderseits eigene Probleme mit evangelischen Strömungen oder standen dem Vorgehen von vornherein skeptisch gegenüber, da sie selbst dem Luthertum angehörten und eine anschließende politische Auseinandersetzung, in der sie um ihre eigenen reichrechtlichen Errungenschaften (Protestation von Speyer 1529) fürchteten, verhindern wollten. Es fehlte aber auch schlichtweg an der Bereitschaft, sich an den hohen Kosten zu beteiligen. Der vorliegende Brief verdeutlicht dies besonders gut. Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg (1497-1546) beklagte sich bei seinem Vetter, Albrecht von Brandenburg (1490-1545), dass er das Vorgehen gegen die Täufer zwar sehr begrüße, sich aber übermäßig belastet sah mit den finanziellen Forderungen. Da auf der Versammlung nur die zu leistende Hilfe festgelegt wurde, nicht aber eine deutliche Reduzierung der von den einzelnen Reichsständen aufzubringenden Mittel, herrschte große Unzufriedenheit mit diesem Mehrheitsbeschluss. Nur unter Vorbehalt stimmte deshalb der Abgesandte des Herzogs dem Abschied zu.
Die vom Reich unterstützten Belagerer konnten Münster am 25. Juni 1535 zurückzuerobern. Die meisten Täuferanhänger wurden in den darauffolgenden Wochen hingerichtet und eine Rekatholisierung der Stadt eingeleitet.
Literatur:
Ralf Klötzer, Die Täuferherrschaft von Münster. Stadtreformation und Welterneuerung. (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte Bd. 131) Münster 1992.
Hubertus Lutterbach, Das Täuferreich von Münster: Ursprünge und Merkmale eines religiösen Aufbruchs. Münster 2008.
Günter Vogler, Die Täuferherrschaft in Münster und die Reichsstände. Die politische, religiöse und militärische Dimension eines Konflikts in den Jahren 1534 bis 1536. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte Bd. 88) Heidelberg 2014.
Andreas Wagner, Das Falsche der Religionen bei Sebastian Franck. Zur gesellschaftlichen Bedeutung des Spiritualismus der radikalen Reformation. Diss. phil. Berlin 2007.
Gerhard Zschäbitz, Zur Mitteldeutschen Wiedertäuferbewegung nach dem grossen Bauernkrieg. (Leipzger Übersetzungen und Abhandlungen zum Mittelalter Bd. 1) Berlin 1958.
Bemerkung:
Orig.; 1 Blatt, Papier, 32,8x 32 cm, einseitig beschrieben; Rückseite: Adresse; Brief; aufgedrückter Siegelreste des Ausstellers; eigenhändige Ausfertigung