Kaiser Karl V. verhängt die Reichsacht über die Altstadt Magdeburg

Signatur:
LASA, U 1, XXII Nr. 121
Seitenangabe:
1r-v
Datierung:
27. Juli 1547
Orte:
Augsburg
Augsburg
Magdeburg
Wichtige Personen:
Obernburger, Johannes (* 1486 † 1552-06-23)
Karl <Heiliges Römisches Reich, Kaiser, V.> (* 1500-02-24 † 1558-09-21)
Bearbeiter:
Rothe, Vicky
Überlieferungsform:
Ausfertigung
Historische Einordnung:
Am 27. Juli 1547 erklärte Kaiser Karl V. der Stadt Magdeburg die Reichsacht und entzog ihr damit sämtliche Privilegien, was einen großen Schaden für die Stadt hervorrief. Doch wie konnte es überhaupt soweit kommen?
Nachdem sich in zahlreichen Territorien des Reiches die Reformation durchgesetzte hatte, die rechtliche Stellung des Protestantismus aber nicht ausreichend geklärt war und der Verdacht eines militärischen Angriff seitens des Kaisers bestand, gründeten die Mehrzahl der evangelischen Fürsten unter der Führung von Kursachsen und Hessen und elf weiteren Städten 1531 ein Verteidigungsbündnis, den Schmalkaldischen Bund. Unter ihnen befand sich auch die Stadt Magdeburg. Dass die Stadt überhaupt so eine aktive Bündnispolitik ohne das Einverständnis ihres Landesherrn betrieb, zeigte ihr Selbstverständnis als freie Stadt auf, wenngleich der formale Status einer Reichsstadt nie erreicht wurde.
Im Laufe der 1540er Jahre kam es auf den Reichstagen zunehmend zu Frontenverhärtungen zwischen dem evangelischen und dem kaiserlich-altgläubigen Lager, da es das erklärte Ziel Kaiser Karls V. war, die konfessionelle Spaltung des Reiches mit allen Mitteln wieder aufzuheben. Die vermeintlichen Kriegsvorbereitungen des Kaisers bewogen den Schmalkaldischen Bund schließlich zu einem Präventivkrieg im Juni 1546. Bei der entscheidenden Schlacht bei Mühlberg an der Elbe im April 1547 musste das Bündnis aber eine herbe Niederlage in Kauf nehmen. Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen wurde dabei gefangen genommen und verlor in der Wittenberger Kapitulation seine Kurwürde an seinen albertinischen Verwandten, Herzog Moritz von Sachsen. Karl V., der sich nun auf dem Höhepunkt seiner Macht wähnte, verlangte von allen Bündnispartnern die bedingungslose Unterwerfung unter den Kaiser und sein Religionsmandat, das sogenannte Augsburger Interim. Er war in dem festen Glauben, den Protestantismus und die führenden evangelischen Reichsfürsten besiegt zu haben. Als eine der wenigen Bundesmitglieder aber verweigerte Magdeburg sowohl dem wiedereingesetzten Erzbischof als auch dem Kaiser selbst die Gefolgschaft, da die Unterwerfungsforderungen mit dem Verzicht auf das evangelische Bekenntnis und mit dem Verlust aller Privilegien, vor allem des so wichtigen Stapelrechts, verbunden waren.
Mit der ausgesprochenen Reichsacht im darauffolgenden Juli gehörte Magdeburg offiziell nicht mehr zur Landfriedensgemeinschaft des Alten Reichs. Normalerweise wurde eine Reichsacht nur bei der Unterstützung von Feinden des Kaisers und offensichtlichen Landfriedensbruch angewendet. Doch Karl V. führte mit dem Tatbestand „Ungehorsam“ eine neue rechtliche Grundlage für die Ächtung ein und verwendete sie insbesondere als politisches Instrument bei einer offensichtlichen antihabsburgischen Politik und Zuwiderhandlung gegenüber der kaiserlichen Macht. Magdeburg bekam die kaiserliche Ächtung ausgesprochen, weil es den Geächteten, Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen, „Hülff, Förderung und Fürschub“ geleistet hatte.
Die Achtserklärung hatte weitreichende Folgen für die Magdeburger, strebte doch das Mandat nach einer umfassenden rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Isolation. So sollten die Reichsstände künftig keine Bündnisse, Verträge oder sonstige Abkommen mit der Stadt treffen. Zu allen Überfluss wurde das so wichtige Stapelrecht an den Kurfürsten von Brandenburg vergeben und der Schöffenstuhl an die Universität Frankfurt an der Oder verlegt. Hinzu konnten die Stadt und ihre Bewohner straffrei angegriffen und ausgeraubt werden. Damit verlor die Stadt ihre maßgebenden Einnahmequellen des Handels und die Grundlage ihres Wohlstands. Auch das politische Verständnis einer reichsfreien Stadt war bedroht.
Doch zunächst stellte sich die Frage nach der tatsächlichen Exekution der Reichsacht. Wen sollte der Kaiser damit beauftragen? Während der Verhandlungen wurde sehr schnell deutlich, dass die einzelnen Fürsten unterschiedliche Interessen gegenüber der geächteten Stadt vertraten, was eine gemeinsame Position verhinderte. So wurde die Reichsacht erst im November 1548 öffentlich durch Moritz von Sachsen bekannt gegeben. In der folgenden Zeit entwickelte sich Magdeburg zum protestantischen Widerstandszentrum gegen den Kaiser und das Augsburger Interim. Zahlreiche Flugschriften machten den Widerstand der belagerten Stadt im ganzen Reich publik. Aus der selbsternannten „Herrgotts Kanzlei“ Magdeburg riefen führende evangelische Theologen dazu auf, den Kampf um das Evangelium nicht verloren zu geben.
In Folge der kaiserlichen Belagerung der Stadt 1550/51, die Moritz von Sachsen durchführte, mussten die Magdeburger zwar formal kapitulieren, wurden von dem evangelischen Fürsten aber milde behandelt und konnten ihr evangelisches Bekenntnis bewahren. Durch den anschließenden Feldzug von Kurfürst Moritz gegen den Kaiser verbesserte sich die Position der evangelischen Reichsstände entscheidend und im Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurde das lutherische Bekenntnis schließlich reichsrechtlich anerkannt. Die Reichsacht allerdings hob Karl V. erst im Jahr 1562 auf, nachdem sich Stadt und Domkapitel im Wolmirstedter Vertrag geeinigt hatten.
Literatur:
Helmut Asmus, 1200 Jahre Magdeburg. Von der Kaiserpfalz zur Landeshauptstadt, Bd. 1: Die Jahre 805-1631. Magdeburg 1999.
Friedrich Wilhelm Hoffmann’s Geschichte der Stadt Magdeburg, neu bearbeitet von Gustav Hertel und Friedrich Hülße, 1. Bd. Magdeburg 1885.
Thomas Kaufmann, Das Ende der Reformation. Magdeburgs „Herrgotts Kanzlei“ (1548-1551/2). Tübingen 2003.
Anja Moritz, Interim und Apokalypse. Die religiösen Vereinheitlichungsversuche Karls V. im Spiegel der magdeburgischen Publizistik 1548-1551/52. Tübingen 2009.
Matthias Puhle (Hrsg.), Magdeburg 1200. Mittelalterliche Metropole, Preußische Festung, Landeshauptstadt. Die Geschichte der Stadt von 805 bis 2005. Stuttgart 2005.
Horst Rabe, Karl V. und die deutschen Protestanten. Wege, Ziele und Grenzen der kaiserlichen Reichspolitik, in: Ders. (Hrsg.), Karl V. Politik und politisches System. Berichte und Studien aus der Arbeit an der Politischen Korrespondenz des Kaisers. Konstanz 1996, 317–345.
Matthias Weber, Zur Bedeutung der Reichsacht in der Frühen Neuzeit, in: Johannes Kunisch (Hrsg.), Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte. (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 19) Berlin 1997, 55–90.
Nachweis früherer Editionen:
Elias Pomarius, Warhafftige, grundtliche unnd eygentliche Beschreibung der uberjärigen Belagerunge der Kayserlichen freyen Reichs-Stadt Magdeburg. Magdeburg 1622, 49–55. [vollständig abgedruckt]
Friedrich Hortleder, Der Römischen Keyser- und Königlichen Maiesteten, auch des Heiligen Römischen Reichs geistlicher und weltlicher Stände […] Handlungen und Ausschreiben […] von den Ursachen des Teutschen Kriegs Kaiser Carls des Fünfften wider die Schmalkaldische Bundts Oberste Chur- und Fürsten Sachsen und Hessen 1546 und 47 an Tag gegeben. 2. Aufl. Gotha ca. 1645, 1039–1041. [vollständig abgedruckt]
Johann Christian Lünig, Teutsches Reichs Archiv, Pars specialis continuatio I. Leipzig 1711, 264–266. [vollständig abgedruckt]
Johann Michael Wichselfelder, Leben, Thaten, Gefangenschaft und heldenmüthiger Tod des Durchlauchtigsten Churfürsten und Herzogs zu Sachsen Johann Friedrichs des Großmüthigen. Frankfurt 1754, 736–744. [vollständig abgedruckt]
Erich Brandenburg/Johannes Herrmann/Günter Wartenberg (Hrsg.), Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, Bd. III. Leipzig 1978, Nr. 725, 507. [Regest]
Neben der Urkundenüberlieferung, gibt es die Reichsachterklärung auch als Druck: Karl <Heiliges Römisches Reich, Kaiser, V.> / Vigilius, Stephan: Römischer Kaiserlicher Maiestat Achterclärung, gegen der Alten Statt Magdenburg, [S.l.], 1547 [VD16 D 843], abrufbar unter VD 16
Bemerkung:
gedruckte Urkunde, Ausfertigung, aufgedrücktes Siegel und eigenhändige Unterschrift von Johann Marquard und Johannes Obernburger, 48 x 36 cm, Papier